o Das Laboratorium, in dem der Quäker experimentiert, ist das tägliche Leben, und durch fast dreihundert Jahre haben die Freunde ihren Glauben an das inne­re Licht darin geprüft und ihn wahr befunden. Quäker sein heißt eben nicht etwa nur mystische Versenkung in Gott, sondern bedeutet im täglichen Leben die Verantwortlichkeit fühlen für alle Forderungen, die die Bergpredigt an jeden einzelnen von uns richtet. Manfred Pollatz, QUÄKER 5 / '75, S. 121

                                                                          o Alles Sichtbare ist ein Hinweis auf das Unsichtbare. Henriette Jordan, Cary '56, S. 25

Liebe Freundinnen und Freunde,                                                                           

die Ihr dieses Buch in die Hand nehmt!

Auf dem Weg zu den Freunden haben vermutlich die meisten von uns die zweifache Erfahrung gemacht, dass sie zum einen das Leben von Einzelnen beeindruckt hat und dass sie zum anderen ganz unerwartet von Texten berührt worden sind und auf gewisse Weise in ihnen Wahrheit gefunden haben. So wird der eine oder andere Satz vorangegangener Quäker der Sehnsucht mancher Suchenden entsprochen, genau auf ihre Situation gepasst i1 oder sogar ihre Lebensrichtung beeinflusst haben. Obwohl diese Aussagen gelebten Quäker-Seins jeweils für die individuelle Entwicklung von Bedeutung waren, gerieten und geraten sie im Laufe der Zeit aus dem Gedächtnis. Mag auch sein, dass einige belangreiche und aus der Tiefe kommende Gedanken oder Erfahrungen in der Fülle des Geschriebenen einfach untergegangen und niemandem mehr gegenwärtig sind. Damit auch künftige Freunde sich durch sie inspirieren oder bestärken lassen können, sind in diesem Buch einige solcher „Schätze“ zusammengetragen.

In dieser Einleitung wird Euch zuerst begründet, weshalb es erneut an der Zeit erschien, eine etwas umfangreichere Kollektion von Quäker-Aussagen aus dem Raum der Deutschen Jahresversammlung zu drucken (1). Dann wird beschrieben, mit welcher Motivation die Sammlung erfolgt ist, welche Gesichtspunkte bei der Sichtung wichtig waren und wie die Auswahl getroffen wurde (2). Den Abschluss bildet ein persönliches Wort derer, die dieses Buch zusammengestellt haben (3).

 

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Das Bedürfnis zu erfahren, wie andere deutsche Freundinnen und Freunde durch die Generationen hin empfunden, gedacht und gehandelt haben, und den darin enthaltenen spirituellen Reichtum zu bewahren, speist sich aus unterschiedlichen Quellen.

- Wer auf den britischen Inseln aufgewachsen ist, hatte es schon immer leicht, sich den Freunden zu nähern: Weil dort das Quäkertum entstanden ist und die meisten europäischen Freunde leben, steht eine Fülle muttersprachlicher Veröffentlichungen zur Verfügung, sind Stille Andachten an vielen Orten im ganzen Land erreichbar und kann es schnell zu persönlichen Begegnungen kommen. Der Zugang zur Religiösen Gesellschaft der Freunde ist deshalb nicht besonders schwierig. Anders ist das von Anfang an auf dem europäischen Festland gewesen. Nicht nur, dass nirgends eine so breite Entwicklung von Freundesgruppen stattgefunden hat, es gab auch keine kontinuierliche, jahrhundertelange Tradition quäkerischen Lebens. Nach den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts, in deren Folge sich auf unserem Kontinent kleine Freundesgruppen bildeten, haben sich deshalb Suchende verständlicherweise vor allem mit Quäker-Literatur aus dem angloamerikanischen Sprachraum befasst und sich damit an den dortigen Traditionen orientiert. Schon früh wird diese Tatsache problematisiert:

So schreibt Walther Koch-Cassel 1925: Es ist uns auch ganz klar, dass wir unseren eigenen Weg gehen müssen, wie er uns vorgezeichnet ist in un­serer deutschen Geisteslage. Jedes Kopieren ausländischer Vorbilder würde nicht dem tiefsten Sinn der Quäkerbewegung, dem Leben des inneren Lichtes in uns entsprechen. Wir müssen unmittelbar aus der gött­lichen Quelle trinken und sind uns dabei bewusst, dass wir ein Glied in der großen Kette sein müssen, einer Lebensbewegung, die vom Urchristentum über Franz von Assisi und den jungen Luther zu George Fox und den Propheten der Neuzeit führt..." "Unsere geistige Lage und das Quäkertum" in MITTEILUNGEN FÜR DIE FREUNDE DES QUÄKERTUMS IN DEUTSCHLAND. Februar 1925, S. 20

Und ein Jahr später Corder Catchpool: „In Deutschland ist schon mancherlei über das Quäkertum veröffentlicht worden; aber außer ein paar Flugschriften wurde das alles in Amerika und England ausdrücklich für Deut­sche geschrieben, oder aber, es waren Übersetzungen schon vorhandener englischer Bücher. Solche Veröf­fentlichungen haben englische und amerikanische Quäker immer nur als etwas Vorläufiges, als einen Notbe­helf angesehen. Sie wissen ja: wenn ihr Glaube irgendwelche wesentliche Bedeutung für Deutschland hat, dann muss er dort ganz und gar persönliches Eigentum werden, sein eigenes Gepräge in seiner eignen und eigentümlichen Weise entfalten, und nur, wenn Deutsche ihn Deutschen nah bringen, wird das geschehen.“ Aus dem Vorwort zu Julie Schlosser "Vom inneren Licht (Die Quäker)", S. 5 2

- Selbstverständlich gehören auch für uns in der Deutschen Jahresversammlung, ungeachtet ihrer sprachlichen Herkunft, die „großen“ Werke der Quäker-Literatur wie das Tagebuch von George Fox oder die Sammlungen von Britain Yearly Meeting, „Christliches Leben und Christliches Wirken“ (1921, 1951) und „Quäker Glaube und Wirken“ (1995, 2010) oder Ruth Frys „Die Weise der Quäker“ (1935, 1946) zum un­verzichtbaren Bestand quäkerischen Bewusstseins. Es wird kaum jemanden unter uns geben, der nicht durch die Lektüre solcher Werke begriffen hat, was Quäker-Sein damals und heute bedeutet, und vermutlich sind wir alle tief durch die Bilder geprägt, die wir damit aufgenommen haben.

In Deutschland ist vor knapp dreißig Jahren eine schmale Veröffentlichung erschienen, die hierzulande gewonnene Erfahrungen und Einsichten verfügbar gemacht hat: „Quäker Aussagen zu Glauben und Leben, 1925 – 1980“, eine Sammlung, die vielen Freundinnen und Freunden lieb geworden ist. Im Vorwort hat Grete Scherer darauf hingewiesen, dass in Bezug auf eine derartige Sammlung kein Abschluss erreicht werden kann und dass deshalb – von Generation zu Generation –die Suche weitergehen würde.

Wir maßen uns nicht an, hiermit eine endgültige Darstellung der Quäkergedanken zuwege gebracht zu haben. Es ist der erste Versuch innerhalb der …. Jahresversammlung. Wir denken, dass …. die nächste Generation nach etwa 15 bis 20 Jahren die Arbeit wieder aufnehmen und eine ganz neue Zusammenstellung von Aussagen vorlegen wird.“ (1987, S. 5).

Ungeachtet mancher weiteren Einzelveröffentlichung ist in der Tat im Laufe der letzten Jahre immer wieder laut und leise der Wunsch nach einer neuen Zusammenstellung von kraftvollen Quäker-Texten laut geworden, die im deutschen Sprachraum ver­wurzelt sind. „Könnten wir nicht eine eigene Kollektion von Freundes-aussagen als „Unser Buch“ zuwege bringen?“

 

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Nachdem sich einzelne Freundinnen und Freunde vor dem Hintergrund dieses Bedürfnisses eine Zeitlang mit­einander über entsprechende Sammlungs-Möglichkeiten ausgetauscht hatten, beschloss die Jahresver-sammlung 2010, eine Arbeitsgruppe 'Unser Buch' einzurichten, um unseren von den britischen Freunden übernommenen grünen Band "Quäker Glaube und Wirken" zu er­gänzen. Das neue Werk sollte länger tragende Hinweise und Antworten aus persönlicher Erfahrung auf exis­tentielle Lebens- und Glaubensfragen enthalten und das Spezifische wie auch das universell Verbindende des Quäkerweges im Rahmen der europäischen Quäker-Tradition vermitteln.

Die Klärung der gestellten Aufgabe und die Entwicklung einer Arbeitsgrundlage für das Vorgehen stellten sich als schwieriger heraus, als ursprünglich angenommen, und so kam die Projektgruppe nur langsam vor­an. Der Kreis der Beteiligten verringerte sich, u.a. durch den Tod von Eberhard Küttner, und aufgrund einer realistischeren Einschätzung des zu erbringenden Zeitaufwands, so dass langfristig nur fünf Freunde übrig blieben, die in der Lage waren, sich der Aufgabe zu widmen. Es bestand nie ein Zweifel darüber, dass es vornehmllich um authentische Äußerungen gehen würde – im Sinne des allen Freunden auf der ganzen Welt vertrauten Wortes von George Fox: „Christus sagte dies und die Apostel sagen das, aber was kannst Du sagen? (1652) 3

In der Einladung an die Freunde, zur Kol­lektion beizutragen, wurde formuliert:

Wir suchen nach Textstellen (nicht ganzen Seiten),

- die Euch spirituell berührt haben,

- die erfahrungsbezogen sind,

- deren Sprache einfach und klar ist und

- die vielleicht anderen helfen könnten, den Quäker-Weg besser zu verstehen.

Diese Kriterien müssen nicht zwingend für jeden Text gelten.

Lasst uns teilhaben an den Quäker-Worten, die Euch bewegen, die Euch Nahrung auf dem Quäker-Weg sind!“

Es entstand Einvernehmen darüber, einen themenbezogenen Ordner anzulegen, in den die ausgesuchten Texte eingefügt werden sollten. Nach ausführlicher Erörterung mehrerer – z.T. sehr umfänglicher – Struktu­rierungs-vorschläge fiel die Entscheidung zugunsten einer Gliederung, die in einer anderen Jahresversamm­lung für eine ähnliche Veröffentlichung verwendet worden war. In der letzten Phase der Arbeit sollte diese Struktur auf ihre Eignung für unsere Sammlung noch einmal überprüft werden.

Einzelne Mitglieder der Pro­jektgruppe haben im Laufe der Jahre systematisch alle erreichbaren Veröffentlichungen durchgesehen, sämt­liche Jahrgänge unserer Zeitschrift QUÄKER ebenso wie Einzelveröffentlichungen und anderes Material, und die von ihnen gefundenen ebenso wie die von ande­ren Freunden zugereichten Abschnitte in diesem Ordner abgelegt. Schon bald wurde klar, dass es angesichts unserer Materiallage nicht gelingen würde, sich an einer lexikalischen Systematik zu orientieren und jeweils Texte zu Sachpunkten zu orten. Der Verzicht auf diesen Ansatz bedeutete, dass nicht auf ein Nachschlagewerk hin gesammelt werden musste, in dem man zu Stichwörtern Erläuterungen findet, und dass sich deshalb bei der Suche niemand unter entsprechendem Anspruchsdruck fühlen musste. Zudem ermöglichte dieser Verzicht, mit größerem Freiraum die endgültige Gliederung des Buches zu bedenken.

Nachdem in unregelmäßigen Zwischen-Beratungen der erreichte Stand erörtert worden war, er­folgte eine kritische Sichtung. Für die weitaus meisten Vorschläge konnten wir Einmütigkeit in Bezug auf Aufnahme / Nicht-Aufnahme erreichen. Erschien jedoch nachträglich ein aussortierter Text einem von uns besonders wichtig, so wurde er erneut beraten und doch einbezogen, wenn die Argumente auch anderen in der Projektgruppe einleuchteten. Auf diese Weise wurde 2014 ein vorläufiger Endstand er­reicht, über den die Mitglieder der Religiösen Gesellschaft der Freunde auf verschiedenen Wegen informiert und zugleich eingeladen wurden, die „Rohfassung“ durchzusehen und Rückmeldung zu geben. Mehrere Freunde machten von dieser Möglichkeit Gebrauch, und im Zusam­menhang mit einem Treffen von Literaturausschuss und Projektgruppe konnten wichtige Fragen mit einem erweiterten Kreis erörtert werden, u.a. die Überlegungen zum Namen dieser Publikation. Titel und Einleitung wurden abschließend mit den Schreibern der Deutschen Jahresversammlung abgestimmt.

 

3

 

Die Arbeit an diesem Buch war für uns in der Projektgruppe wie eine Entdeckungsreise, auf der die einzelnen wie das ganze Team unaufhörlich von den Funden berührt und beglückt wurden. Mehr noch: wir haben uns im Laufe der Jahre aufgrund dieser Erfahrungen immer neu geführt gefühlt. Insoweit legen auch wir Euch diese Auswahl mit Freude und im Vertrauen darauf ans Herz, dass nach geraumer Zeit erneut Freunde sich geru­fen fühlen, ihrerseits nach stärkenden Texten zu suchen und damit unser Anliegen fortzuführen, „Goldkör­ner“ nicht in der Dunkelheit des Vergessens liegen zu lassen.

Es ist uns zudem bewusst, dass eine ande­re Gruppe von Freunden wahrscheinlich manches andere für wertvoll eingeschätzt hätte und dass unsere ei­gene Sicht zeitbedingter und damit subjektiver ist als wir selbst wahrnehmen können. Deshalb betrachten wir unser Werk wie die Zuständigen für die „Aussagen“ von 1987 das ihre als „unvollständige Sammlung“. Mögen viele von Euch beim Lesen hin und wieder durch das Unsichtbare hinter den Worten bewegt werden und das Empfinden haben: „so ist es“, oder im Gleichklang mit den Verfassern der Texte denken, „so möchte auch ich leben“, freudig und ohne Furcht.

 

1eine Redensart britischer Freunde lautet „It spoke to my condition“, „es trifft genau meine Situation“

2 Natürlich haben auch wir Deutschen allen Anlass, den Eigenarten unseres Denkens skeptisch gegenüberzustehen; gleichwohl liegt auf der Hand, dass Geschichte und Kultur auch in Deutschland Einfluss auf das Weltverständnis der Menschen haben. Andererseits: so sehr wir spüren, dass beispielsweise kenianische Denkweisen subtile Auswirkungen auf die dortige Jahresversammlung haben, so sehr wissen wir um die Internationalität der Quäkerspiritualität.

3 Aus diesem von Margret Fell überlieferten und zur Quäker-Identität gehörenden Fox-Zitat wurde der Titel des vorliegenden Buches abgeleitet.

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