Wie alles anfing. Die ersten Jahre des Zivilen Friedensdienstes (ZFD).

(Helga Tempel 2019)

Veröffentlicht in "Von der Idee zur Wirklichkeit. Die Anfänge des Zivilen Friedensdienstes." ForumZFD Köln, Juli 2019, S. 5-12.

Nach dem bedeutungsvollen Wendejahr 1989 und dem Zusammenbruch der UdSSR drängte sich die Frage auf: Wie geht es weiter mit der deutschen Außenpolitik und vor allem auch mit dem Militär beider deutscher Staaten? Allzu schnell schwand die Hoffnung auf eine entspannte Weltlage; regionale Konflikte und Kriege ließen Forderungen nach out-of-area-Einsätzen auch der Bundeswehr laut werden. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) gab eigene Friedenshoffnungen nicht so schnell auf und dachte über einen neuen politischen Ansatz unter zivilgesellschaftlicher Mitwirkung nach.

Vorschlag aus der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg

Am 28. Februar 1992 wandte sich der damalige Berliner Bischof Kruse mit einem Brief an die Kirchengemeinden, die Jugend der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (EKiBB) sowie kirchliche Friedensdienste und interessierte Gruppen. Dieses Schreiben im Auftrag der Kirchenleitung der EKiBB enthielt sieben Fragen zu einem bereits von einer kirchlichen Arbeitsgruppe vorbedachten zivilen Friedensdienst, um deren rasche und ausführliche Beantwortung gebeten wurde. Die mögliche Verortung und Ausgestaltung eines solchen neuen Dienstes wurde in dem Begleitschreiben bereits umrissen. Es sollte sich um ein „funktionales Äquivalent zum Militärdienst“ handeln, dessen „Institutionalisierung … letzten Endes die Aufgabe des Gesetzgebers und der Regierung“ sein solle. Das zu entwickelnde „handhabbare Konzept“ solle über die EKD an die Bundesregierung und die Öffentlichkeit geleitet werden.

Die Idee eines zivilen Friedensdienstes war aus einem Impuls des Berliner Professors für Politikwissenschaften, Theodor Ebert, entstanden, der seit langem zu Fragen der gewaltfreien Aktion gearbeitet, gelehrt und geforscht hatte. Es lag ihm daran, gezielt Methoden der gewaltfreien Konfliktbearbeitung auch für kollektive gewaltträchtige Auseinandersetzungen zu nutzen und dafür sowohl einen institutionellen Rahmen zu schaffen als auch vor allem junge Menschen für gewaltloses Verhalten zu gewinnen und sie entsprechend zu „alphabetisieren“. Theodor Ebert war um 1990 herum Laien-Mitglied der Kirchenleitung in Berlin-Brandenburg, außerdem Vorsitzender des 1989 gegründeten Bund für Soziale Verteidigung (BSV) in Minden.

Professor Ebert trug dazu bei, dass es am 25. Oktober 1991 entgegen der Diskussion zu den out-of area-Einsätzen der Bundeswehr zu einem Beschluss der Kirchenleitung kam, der später auch in den Ausschüssen der Synode Zustimmung fand. Dort wurde eine kirchliche Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Idee eines zivilen Friedensdienstes unter anderem zur Abwehr äußerer Bedrohung der Bundesrepublik weiter auszuarbeiten und entsprechende Schritte in die Öffentlichkeit vorzubereiten. Ihr gehörte auch Theodor Ebert an. Er sprach im Januar 1992 auf einer Tagung von Pax Christi International von einer „gewaltfreien Taskforce“, die Aufgaben von Polizei und Militär übernehmen solle, benutzte aber parallel dazu auch schon den Begriff „ziviler Friedensdienst“. Er hoffte, dass eine künftige rot-grüne Bundesregierung sich für ein solches neues politisches Instrument öffnen könnte.

Die Idee eines zivilen Friedensdienstes entstand jedoch nicht aus einem Vakuum heraus, sondern griff Grundlagen und Erfahrungen von Vorläufern auf. Dazu gehörte u.a. die von Gandhi begründete Shanti Sena sowie die Arbeit der Peace Brigades International und damals ganz aktuell des Balkan Peace Teams, das sich auf Initiative des BSV zur Streitschlichtung angesichts des Krieges im ehemaligen Jugoslawien gegründet hatte.

Das früheste öffentliche Dokument zum späteren ZFD:

Sieben Fragen von Bischof Martin Kruse, Kirchenleitung der EKiBB

28.Februar 1992

an Kirchengemeinden der evang. Kirche in Berlin-Brandenburg,

an die evang. Jugend in Berlin-Brandenburg und

an kirchliche Friedensdienste und interessierte Gruppen

  1. Halten Sie es überhaupt für sinnvoll, dass neben dem Militärdienst und dem zivilen Ersatzdienst eine neue Form des zivilen Friedensdienstes entwickelt und angeboten wird?

  1. Welche Aufgaben könnte nach Ihrer Auffassung ein solcher ziviler Friedensdienst kurz-, mittel-und langfristig übernehmen?

  1. Wie sehen Sie das Verhältnis eines neuen zivilen Friedensdienstes zum bestehenden Militärdienst und zum zivilen Ersatzdienst, der auch gelegentlich in kirchlichen Kreisen schon erwartungsvoll als ziviler Friedensdienst bezeichnet worden ist?

  1. Welche Rolle sollen Frauen in dem zivilen Friedensdienst spielen?

  1. Welche vorbereitenden Formen eines zivilen Friedensdienstes halten Sie jetzt schon für möglich?

  1. Wie stellen Sie sich die Ausbildung für den zivilen Friedensdienst vor? An dieser Stelle erwarten wir selbstverständlich kein Curriculum; wir wären Ihnen jedoch für exemplarische Hinweise, die eventuell wichtige Erfahrungen Ihrer Organisation aufgreifen, dankbar.

  1. In welcher Weise können Sie unser Vorhaben unterstützen? Ist es Ihnen möglich, das Konzept des zivilen Friedensdienstes in Ihren Gremien und Mitteilungsorganen zu erörtern? Können Sie sich vorstellen, dass Sie Erfahrungen aus Ihrer Arbeit in einen zivilen Friedensdienst einbringen?

Sieben Fragen zur Diskussion

Die „Sieben Fragen“ der EKiBB stießen auf Interesse, besonders auch bei der kirchlich orientierten evangelischen Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) und dem Christlichen Friedensdienst EIRENE. Insgesamt gab es mehr als 40 Reaktionen zu den Fragen und Vorschlägen. Nach unserer Kenntnis forderte jedoch nur der BSV seine Mitgliedsgruppierungen auf, sich zeitnah zu den vorgelegten Fragen zu äußern. Für die Bearbeitung der Antworten setzte er eine gesonderte Arbeitsgruppe von Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Mitgliedsorganisationen ein, darunter Pax Christi, Versöhnungsbund, Ohne Rüstung Leben sowie der Friedensausschuss der Quäker. Diese „AG Ziviler Friedensdienst“ traf sich erstmalig am 22. Februar 1993 in Hannover und diskutierte den Vorschlag der EKiBB. Die Mitglieder bezogen sich dabei auch auf die zum Teil recht besorgten Rückmeldungen aus verschiedenen Organisationen. Diese kritisierten besonders die deutliche Nähe zum Staat als Auftraggeber und den Gedanken der Dienstverpflichtung junger Menschen – oder gar nur junger Männer? Vor allem pazifistisch ausgerichtete Gruppen jedoch unterstützten den Grundgedanken, mit dem zivilen Friedensdienst eine „Alternative zum Einsatz bewaffneter Gruppen in Konfliktsituationen und Krisengebieten“ zu schaffen. Das Nachdenken über eigene Konzepte eines zivilen Friedensdienstes hatte begonnen.

Am 8. bis 10. Oktober 1993 trafen sich ca. 30 Menschen in der Evangelischen Akademie Mülheim/Ruhr zum gemeinsamen Nachdenken über das Thema „Der Zivile Friedensdienst – ein neues Mittel für eine neue Politik“. Zu ihnen gehörten neben dem Studienleiter der Akademie, Dr. Hans-Jürgen Fischbek, auch Theodor Ebert und die gesamte Arbeitsgruppe des BSV sowie Vertreterinnen und Vertreter kirchlicher Freiwilligendienste und mehrerer Landeskirchen. Diese Mülheimer Treffen wurden dreimal in mehrmonatigen Abständen fortgesetzt (18. bis 20. April 1994, 31. Oktober bis 2. November 1994, 13. bis 15. Januar 1995) und trugen durch einen im Laufe der Zeit erweiterten Kreis von Teilnehmenden aus Politik und Gesellschaft zur weiteren Ausbreitung und Vertiefung der Idee bei. Unterschiedliche Positionen glichen sich an, es ergaben sich deutliche Voten zu Kernpunkten eines Konzepts. Beim zweiten Mülheimer Treffen im Herbst 1994 waren 90 Einzelpersonen anwesend und insgesamt 28 Organisationen vertreten. Der Gesprächskreis gab sich den Namen „Forum Ziviler Friedensdienst“ und wählte vier Sprecherinnen und Sprecher.

Der Gegenentwurf des BSV

Gleichzeitig arbeitete die AG Ziviler Friedensdienst des BSV an einer Zusammenstellung wichtiger Elemente, mit denen der Vorschlag eines ZFD der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte. Hintergrundpapiere (z.B. zu Vorläufern aktiver Friedenseinsätze und Beispielen gewaltfreien Eingreifens) wurden erstellt und grundlegendes Pro und Contra in mehrseitigen Erörterungen gegeneinander abgewogen. Die AG Ziviler Friedensdienst fügte Argumente aus den Mülheimer Gesprächen sowie eigene Überlegungen zusammen und legte im April 1994 ein verändertes Konzept, eigentlich einen Gegenentwurf zum Vorschlag der EKiBB, vor. Es machte deutlich, dieser neue Dienst solle

  • nach dem Subsidiaritätsprinzip in pluraler zivilgesellschaftlicher Verantwortung organisiert, aber staatlich gefördert werden,

  • an keinerlei Dienstpflicht gekoppelt sein, sondern freiwillig geleistet werden

  • und im Wesentlichen auf „die Unterstützung solcher Kräfte in Krisengebieten gerichtet sein, die für Versöhnung, gewaltfreie Konfliktaustragung und gerechte Verhältnisse eintreten“.

In einer kleinen 28-seitigen Broschüre im Oktavformat wurden Ziele und Aufgaben eines solchen Dienstes näher ausgeführt. Von da an galt dieses unscheinbare Heftchen alsdas Konzept“ des angestrebten Zivilen Friedensdienstes. Der Text wurde am 11. April 1994 ganzseitig in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht.

Das Konzept enthielt Argumentationen und Kernforderungen, die in den folgenden Jahren der Entstehung des ZFD ihre Gültigkeit bewiesen: Die Fachkräfte sollten in Zusammenarbeit mit friedensbereiten lokalen Gruppen beratend, unterstützend, vermittelnd und versöhnend tätig werden und deeskalierend Gewalt eindämmen, auch indem sie internationale Aufmerksamkeit ins Spiel brachten. Betont wurde, dass es sich bei den zu gewinnenden Freiwilligen um lebenserfahrene, gefestigte Persönlichkeiten handeln solle.

Zusätzlich sollten diese Freiwilligen eine gründliche, einjährige Ausbildung durchlaufen. Dafür wurden wichtige Prinzipien benannt: Neben fachlichen Kenntnissen sollte es im Wesentlichen um die Weiterentwicklung bereits vorhandener Kompetenzen und die Heranbildung konfliktfähiger, teamfähiger Persönlichkeiten gehen. Neben einer Grundausbildung waren Spezialisierungsangebote und Aufbaukurse je nach Einsatzgebiet und Anforderungsprofil geplant. Für die Grundausbildung waren vier Schwerpunkte vorgesehen: Die Analyse der Verhältnisse (1), die zivilen und gewaltfreien Optionen (2), die persönliche Entwicklung und das Selbstverständnis der Freiwilligen (3) sowie das alltägliche konkrete Tun in der Praxis (4).

Ein eher langfristig angelegter Aufbau des Dienstes wurde angestrebt mit dem Ziel, im Endstadium etwa 100 000 kompetente Fachkräfte zur Verfügung zu haben - eine Zahl, die von den Trägern der Idee später selbst kritisiert und korrigiert wurde. Letztlich aber sollte es „um eine Institutionalisierung der zivilen Konfliktaustragung in einem mindestens gleichrangigen Ausmaß gegenüber den gewaltsamen Machtinstrumenten“ gehen. Interessant ist, dass das später für die Umsetzung so wichtige Konsortium Ziviler Friedensdienst hier schon anklang, wenn es hieß: „In der Bundesrepublik arbeiten die Träger des ZFD in einem Koordinationsgremium zusammen, das die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen gewährleistet.“

Dieses Konzept, noch unter dem Namen des BSV veröffentlicht, wurde sehr bald dem Gesprächskreis Forum Ziviler Friedensdienst zugeschrieben und löste breite, auch kontroverse Diskussionen unter den Friedens- und Entwicklungsdiensten aus. So stieß besonders die Finanzierung aus Steuermitteln, d.h. durch den Staat, auf Widerspruch; ebenso die damals noch angedachte große Zahl von auszubildenden Freiwilligen und die Gleichstellung mit Pflichtdiensten. Einige Repräsentantinnen und Repräsentanten strikt pazifistischer Organisationen hatten deshalb Mühe, die veränderten Eckpunkte des BSV-Konzepts gegenüber den ursprünglichen Vorstellungen der Kirche und Theodor Eberts zur Kenntnis zu nehmen. Sie forderten überdies, Forderungen wie die Abschaffung der Bundeswehr und der Wehrpflicht in das Konzept aufzunehmen.

Gleichzeitig fand diese neue Idee erstaunlich breite Unterstützung, insbesondere unter Kirchenleuten, unter Vertreter*innen der damaligen Oppositionsparteien sowie von Prominenten in Kunst und Wissenschaft. Die AG ZFD des BSV erörterte mit diesen frühen Förderern die Möglichkeiten zur Umsetzung des neuen Ansatzes und brachte diesen in verschiedenen Anläufen in die Öffentlichkeit. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang ein „Aufruf für einen Zivilen Friedensdienst“, der am Antikriegstag, dem 1. September 1994, veröffentlicht wurde und bereits 60 prominente Unterzeichnende fand.

Ab August 1994 stellte der BSV im Auftrag des Forum Ziviler Friedensdienst einen Koordinator für seine Arbeitsgruppe ZFD ein. Nach insgesamt elf Zusammenkünften wurde die Arbeitsgruppe Ende 1994 personell erweitert und als „Initiative Ziviler Friedensdienst“ mit dem Schwerpunkt der politischen Umsetzung fortgeführt.

Die überarbeitete Handreichung der EKiBB

Im Sommer desselben Jahres veröffentlichte die EKiBB am 8. Juli 1994 eine revidierte Fassung ihres ursprünglichen Vorschlags unter dem Titel „ZIVILER FRIEDENSDIENST – Einsatzgruppen für eine Politik mit gewaltfreien Mitteln“. Auch wenn einige der kritischen Anmerkungen aus den Rückmeldungen dort Eingang fanden, indem zum Beispiel jetzt deutlich von Männern und Frauen die Rede war und gar einzelne Passagen aus dem BSV-Büchlein wortgleich übernommen wurden, unterschieden sich die dort erkennbaren Vorstellungen noch immer deutlich von dem veränderten Konzept der BSV- Arbeitsgruppe. Insgesamt wurde ein sehr breites Arbeitsfeld für einen künftigen ZFD in den Blick genommen, von privater Absicherung (etwa gegen Fahrzeugdiebstähle) über polizeiähnliche Dienste bis hin zu Auslandseinsätzen in Krisengebieten und Sozialer Verteidigung gegen Staatsstreiche oder Bedrohung von außen, zum Beispiel durch fremde Besatzung. Staatlichen Instanzen wurde dabei mehr als eine nur fördernde Rolle zugedacht: Sie sollten selbst neben zivilgesellschaftlichen Organisationen Träger des ZFD sein. So sollten etwa Auslandseinsätze auch auf Anforderung staatlicher Stellen stattfinden.

Bei den Freiwilligen wurde weiterhin auch an Wehrpflichtige, also junge Männer gedacht, die bereits während ihrer Ausbildung zu Einsätzen herangezogen werden sollten. Vorkenntnisse und bereits vorhandene Kompetenzen blieben zugunsten einer grundlegenden „Alphabetisierung“ unbeachtet. Und als Ziel wurde am Ende einer Anlaufphase eine Zahl von mehreren Zehntausend ausgebildeter Menschen angestrebt – eine Dimension, die von den übrigen Befürwortern eines ZFD stark infrage gestellt wurde.

Es war keine leichte Aufgabe, diese zum Teil konträren Vorstellungen so zu bearbeiten, dass ein Konzept entstand, das die Politik zu überzeugen vermochte und Menschen einlud, sich als Freiwillige und Unterstützer der Idee auf diesen neuen, noch unerforschten Weg zu begeben. Eben dies wurde in den Folgejahren bis 1999 geleistet – und später laufend fortgeführt.

Erste politische Kontakte

Mit dem Konzept eines zu schaffenden Zivilen Friedensdienstes zur professionellen Gewalteindämmung und Friedensförderung in Konfliktgebieten nahmen Vertreter*innen des Mülheimer Gesprächsforums Kontakt zur Politik auf. Im Bundestag zeigten sich insbesondere die SPD-Abgeordneten Eckart Kuhlwein, Gert Weisskirchen und Uta Zapf, sodann Christa Nickels und Winfried Nachtwei von den GRÜNEN sowie der junge Aachener CDU-Abgeordnete Armin Laschet interessiert. Auch Rainer Eppelmann von der CDU unterstützte die Idee und schlug eine spezielle interfraktionelle parlamentarische Initiative vor. Dazu gab es unter dem Stichwort „Gruppenantrag“ bereits im Juni 1995 ein erstes Vorgespräch in Bonn mit den Vertretern des Mülheimer Gesprächskreises. Im Hintergrund half auch der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel mit seinem Rat. Für einige Monate liefen diese Bemühungen als „Parlamentarische Initiative“ unter Federführung des Abgeordneten Rainer Eppelmann.

Vereinsgründung

Das Forum Ziviler Friedensdienst hatte damit den ersten Schritt zu einer politischen Lobbyorganisation mit klar umrissenem Gestaltungswillen getan. Zur Fortführung dieser Initiative bedurfte es jedoch einer handlungsbefähigenden Rechtsform. Am 11. Februar 1996 gründete der bisherige Gesprächskreis Forum Ziviler Friedensdienst daher einen eingetragenen Verein unter dem gleichen Namen, jetzt mit dem Kürzel forumZFD, und beantragte dessen Gemeinnützigkeit.

Sieben Gründungsmitglieder bildeten den Vorstand, damals noch Sprecherrat genannt, des Vereins: Heinz Wagner (Pax Christi) und Helga Tempel (Quäker) als gemeinsame Vorsitzende, der Unternehmensberater Dr. Klaus-Stephan Otto als Schatzmeister sowie Uwe Trittmann (Evangelische Kirche von Westfalen), Helmuth Falkenstörfer (Evangelische Akademikerschaft in Deutschland, EAiD), Dr. Tilman Evers (Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung DEAE) und Cornelia Brinkmann (Heinrich-Böll-Stiftung) als Beisitzende.

Das Satzungsziel war, „einen Zivilen Friedensdienst in pluraler, zivilgesellschaftlicher Trägerschaft“ zu verwirklichen. Das machte die Absicht deutlich, die Erfahrungen und Zugänge anderer potentieller Träger, insbesondere der Entwicklungsdienste, einzubeziehen, zu denen insbesondere Helmuth Falkenstörfer und Tilman Evers berufsbiografische Verbindungen hatten. Schnell traten bisher involvierte Organisationen und Einzelpersonen dem jungen Verein als Mitglieder bei und unterstützten ihn bei der Fülle der Aufgaben.

Internationale Vernetzung

Sehr bald wurde klar, dass eine solche Initiative gedanklich wie praktisch eine internationale Dimension haben musste. Es galt, den Vorwurf mancher Kritiker zu entkräften, einmal mehr solle „am deutschen Wesen die Welt genesen“. Bereits am 24. bis 26. März 1995 hatte der Friedensforscher Professor Andreas Buro in Frankfurt/Oder ein internationales Treffen zum Thema „Ziviler Friedensdienst – europaweit“ organisiert - allerdings als Europa-Treffen der Helsinki Citizens’ Assembly (HCA). Am 6. November 1995 nahm Helga Tempel als Vertreterin des Gesprächskreises Forum Ziviler Friedensdienst an einer von den europäischen GRÜNEN ausgerichteten Konferenz über ein mögliches Europäisches Ziviles Friedenscorps mit über 70 Teilnehmenden in Brüssel teil. Ab 1997 gab es mehrfach Delegationsreisen des forumZFD nach Brüssel für fachliche Gespräche über das Thema „Conflict Prevention“ und entsprechende Instrumente auf europäischer Ebene. Trotz der aktiven Unterstützung durch Hans Koschnick, dem ehemaligen Bremer Bürgermeister und EU-Beauftragten für Mostar, blieben diese jedoch ohne nennenswerten Erfolg.

Noch im Juli 1997 lud das forumZFD vergleichbare Initiativen aus den Niederlanden, England, Frankreich und Österreich zu einem ersten Treffen nach Köln. Nach weiteren internationalen Treffen mit wachsender Teilnehmerzahl entstand daraus im Jahr 2000 das European Network for Civil Peace Services (EN.CPS) mit schließlich 14 teilhabenden Organisationen.

Versuch einer „Startphase Ziviler Friedensdienst“

Gegen Ende 1995 und insbesondere mit Beginn des Folgejahres überschlugen sich die Ereignisse. Mit dem Friedensschluss von Dayton nach den kriegerischen Auseinandersetzungen in Ex-Jugoslawien schien der Einstieg in die praktische ZFD-Arbeit in greifbare Nähe gerückt. Aufbauend auf den Kontakten zu den Parlamentariern und den Kirchen lud das Mülheimer Diskussionsforum im Winter 1995/ 96 zu zwei Gesprächen nach Bonn, jeweils mit den beiden Bischöfen Wolfgang Huber (evang.) und Hermann Josef Spital (kath.) sowie mit Heiner Geißler CDU, Günter Verheugen SPD und Joschka Fischer GRÜNE als hochrangige Vertreter der Bundestagsfraktionen. Dabei wurde am 5. Dezember 1995 ein Stufenplan zum Einstieg in eine „Startphase ZFD“ vorgestellt. Angedacht war Nachsorgearbeit zur Aussöhnung und Befriedung in Ex-Jugoslawien durch bis zu 200 ausgebildete Friedensfachkräfte. Dieser Plan wurde Anfang 1996 mit einem elaborierten Konzept in zahlreichen Gesprächen an Abgeordnete herangetragen in der Hoffnung, bereits im Februar 1996 einen entsprechenden Bundestagsbeschluss zu erreichen.

Parallel zu diesen politischen Bemühungen wurden intern Kooperationsstrukturen für eine Startphase des Zivilen Friedensdienstes aufgebaut, Detailplanungen zur Vorbereitung der ersten ZFD-Einsätze getroffen und Regeln vereinbart für die Zusammenarbeit der drei Träger, dem forumZFD, der AGDF und der katholischen Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH). Anfang März 1996 trafen sich 60 Vertreterinnen und Vertreter interessierter Nichtregierungsorganisationen in Kassel zu einer „Vollversammlung Startphase“.

Die erarbeiteten Pläne wurden im Bundestag fraktionsübergreifend und vorwiegend zustimmend diskutiert. Aufgrund eines starken Votums von Armin Laschet, MdB der CDU, wurde jedoch sehr bald klar, dass die Einsätze im Rahmen der Startphase nicht wie von den Organisationen gewünscht dem Auswärtigen Amt sondern dem Entwicklungsministerium zugeordnet werden sollten. Damit lag die endgültige Entscheidung beim CSU-Minister Spranger, der dem gesamten Vorhaben am 25. März 1996 eine strikte Absage erteilte. In seiner Begründung hieß es u.a.: „Bedenklich ist die Vorstellung, junge Leute, die weder die Sprache noch die kulturellen Hintergründe eines seit Jahrhunderten schwelenden Konflikts kennen, in eine Konfliktregion zu entsenden und sie mit einer vagen Friedensarbeit zu überfrachten.“

Die beiden Bischöfe protestierten und wandten sich ratsuchend an Wolfgang Schäuble und Heiner Geißler. Selbst Bundeskanzler Kohl wurde vom Vorstand des forumZFD kontaktiert. Nachfassende Gespräche mit der CDU und dem BMZ boten eine kleine Chance, im Sinne eines Pilotprojekts an wenigen ausgewählten Orten und mit nur 20 bis 25 Fachkräften zu beginnen. Doch auch diese reduzierte Fassung der ursprünglichen Planung wurde abgelehnt. Auf seiner zweiten Vollversammlung am 8. Juni 1996 löste sich der Koordinierungskreis Startphase daraufhin auf.

Die Mitglieder der Interfraktionellen Arbeitsgruppe gaben nicht auf und starteten einen neuen, „abgespeckten“ Vorstoß, der inzwischen auch bei den Entwicklungsdiensten auf einiges Verständnis stieß – doch auch dieser scheiterte am Widerstand der CDU/CSU-Abgeordneten im Verteidigungsausschuss sowie im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit. Als kleines Trostpflaster gelang es den SPD-Haushältern, in die Haushaltspläne für das Auswärtige Amt und das BMZ einen „Leertitel“ Förderung des Zivilen Friedensdienstes aufzunehmen.

Die Startphase war gescheitert. Die Absage der Kohl-Regierung hinterließ jedoch bei den Unterstützern der Initiative eine Stimmung des „Jetzt erst recht“. Dazu gehörten auch führende Vertreter der damaligen Oppositionsparteien, darunter der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Johannes Rau. Ein Jahr später sorgte er dafür, dass es 1997 zum Einstieg in die Ausbildung und damit auch in die öffentliche Förderung kam.

Bündnisse und Konflikte

Dass die konzeptionellen Grundlagen eines künftigen ZFD aus breiten Diskussionen insbesondere auch in den offenen Mülheimer Gesprächen hervorgegangen waren, erwies sich als entscheidend für deren nachfolgende gesellschaftliche Akzeptanz. Viele Organisationen und Einzelpersonen hatten ihre Erfahrungen und Gesichtspunkte einbringen können; sie hatten das Für und Wider möglicher Ausgestaltungen mit erwogen und konnten sich so mit den erarbeiteten Vorschlägen identifizieren. Viele von ihnen wurden daher auch wie selbstverständlich zu Gründungsmitgliedern, als der Gesprächskreis sich Anfang 1996 als eingetragener Verein gründete. Das verschaffte dem Anliegen fast von Anfang an eine vertrauensgebende Breite der gesellschaftlichen Unterstützung.

Aufbauend auf dieser Erfahrung bemühte sich der neugegründete Verein auch im Folgenden darum, weitere Organisationen im thematischen Umfeld als Mitglieder zu gewinnen oder um deren wohlwollende Unterstützung zu werben. Dabei folgte diese Bündnisarbeit nicht einer eigens entworfenen Strategie; vielmehr vertraute der damalige Vorstand wie in bisherigen Schritten auf die Kraft des überzeugenden Arguments. Insgesamt erwies sich diese einladende Transparenz als sehr erfolgreich.

Dennoch blieben punktuelle Konflikte nicht aus. Traten die Befürworterinnen des ZFD bisweilen allzu überzeugt von den eigenen Ideen auf? Wäre manchmal mehr Wertschätzung für die Traditionen und Leistungen alteingesessener Akteure angebracht gewesen? Vielleicht auch mehr Sensibilität dafür, dass die neue Initiative von Anderen als Konkurrenz empfunden werden konnte? – Umgekehrt ließ sich allerdings auch die Frage an manche damalige Kritiker stellen, wie offen sie seinerzeit gegenüber veränderten Herausforderungen und neuen Zugängen waren.

Dabei ragt im Rückblick insbesondere eine Kontroverse aufgrund ihrer hohen gedanklichen Qualität und politischen Brisanz heraus: Ausgerechnet eine der wichtigsten Mitgliedsorganisationen, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, veröffentlichte am 15. Juni 1997 in ihren „Informationen“ eine grundsätzliche Kritik an der Idee eines Zivilen Friedensdienstes, gemeinsam gezeichnet von den drei Sprechern des Komitees. Unter dem Titel „Ziviler Friedensdienst am Scheideweg?“ meldeten die Autoren Zweifel an der pazifistischen Orientierung der Initiative an. Die geforderte öffentliche Förderung berge die Gefahr, dass ein solcher Dienst zum zivilen Feigenblatt einer ansonsten weiterhin militärgestützten Außenpolitik verkomme. Schon der Name „Ziviler Friedensdienst“ lege die Deutung nahe, bloßes Beiwerk zu einem „militärischen Friedensdienst“ zu sein, das nach staatlichem Kalkül als zusätzliches Instrument deutscher Machtpolitik im Vorlauf zu militärischer Gewalt oder zur Schadensbeseitigung danach eingesetzt werden könne. „Zivile Friedensdienste, die ihren Namen verdienen,“ so die Quintessenz des Beitrags, „entsprechen konsequent ihrer friedenspolitischen Aufgabe, wenn sie autonom pazifistisch organisiert, lokalisiert, besetzt und kontrolliert werden.“

Der Vorstand des forumZFD nahm diese kritische Anfrage einer so traditionsreichen und qualifizierten Mitgliedsorganisation als begründete Sorge um die friedenspolitische Orientierung des künftigen Instruments auf. In mancher Hinsicht traf sie sich mit Fragen, die auch die Befürworter eines ZFD sich selber seit der Auseinandersetzung um das ursprüngliche Konzept von Theodor Ebert immer wieder stellten. Zudem hatte es unter den parlamentarischen Befürwortern tatsächlich gelegentliche Tendenzen gegeben, den ZFD als mögliche Ergänzung zur Bundeswehr schmackhaft zu machen. Andererseits musste der Vorstand die erforderliche Bandbreite an gesellschaftlicher Unterstützung im Blick behalten. Wenn die Initiative nicht in der Nische der politische Gleichgesinnten landen wollte, durfte sie sich nicht als strikt pazifistisch definieren und die Militär- und Staatskritik in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen.

Der Vorstand des forumZFD antwortete mit einem Offenen Brief, in dem er die Anfrage des Komitees zunächst als berechtigte Warnung vor zu großer Staatsnähe akzeptierte. In der Sache bekannte er sich aber dazu, reale Handlungsmöglichkeiten in Konfliktlagen gewinnen zu wollen und dazu Unterstützung, auch Finanzierung jenseits der pazifistischen Kreise zu benötigen. „Wenn wir eine zivilisierte(re) Weltinnenpolitik schaffen wollen, müssen wir darauf setzen, bis in die Mitte der Gesellschaft etwas zu verändern.“ Ausdrücklich nennt der Brief „das linksliberale Feld in dieser Republik“ als Ansprechpartner. Der ZFD definiere sich nicht durch das Anti gegen das Militär, sondern das Pro für gewaltfreie Konfliktbearbeitung. Das Beispiel der Entwicklungsdienste zeige, dass man durchaus mit dem Staat zusammenarbeiten und dennoch weitgehende inhaltliche Autonomie bewahren könne. Die damit verbundenen Ambivalenzen müsse der ZFD in Kauf nehmen, wenn er praktisch werden wolle. Durch einen solchen Dienst „würde das Militär nicht abgeschafft, aber – so hoffen wir – unwichtiger. Kriege werden nicht unmöglich, aber – das wollen wir – seltener. Kann eine pazifistische Position in der Wirklichkeit dieser Welt viel mehr und anderes bewirken?“

Dieser Offene Brief war zugleich ein wichtiger nächster Schritt zu einem klareren Selbstverständnis der Initiative. Nach außen trug er durch die Ernsthaftigkeit, mit der er auf die Bedenken des Komitees einging, dem jungen Verein Respekt ein. Die FR-Redakteurin Ursula Rüssmann berichtete in der Zeitschrift „PublikForum“ (10/1997) ausführlich und sehr unterstützend über diese Kontroverse. Im Ergebnis erwies die Debatte sich so als Beleg für die konstruktiven Möglichkeiten eines wertschätzenden Konfliktaustrags.

Öffentlichkeitsarbeit

Auf dem Weg zur Verwirklichung eines Zivilen Friedensdienstes stellte sich neben der gezielten politischen Lobbyarbeit die Aufgabe, die Idee in Politik und Gesellschaft zu verbreiten und zu verankern und nahestehende Organisationen sowie wichtige Schlüsselpersonen „mit ins Boot“ zu holen. Es galt Kontakte zu knüpfen vor allem im Bereich der Friedensorganisationen und der Kirchen und sich den Anfragen von Unterstützer*innen wie auch Kritiker*innen zu stellen. Das betraf überwiegend die Vorstandsmitglieder, die ihre Kontakte in ihrem jeweiligen Umfeld nutzten und auf Versammlungen und in gezielten Gesprächen um Rückhalt für die Idee und um Mitarbeit im forumZFD warben.

Die zweite Jahreshälfte 1996 brachte vielfältige Unterstützung aus der Zivilgesellschaft für einen Zivilen Friedensdienst und die Arbeit des forumZFD. Die Ökumenische Versammlung in Erfurt verabschiedete eine „Botschaft von Erfurt“, die die „Einrichtung ziviler Friedensfachdienste“ forderte. Die EKD-Synode auf Borkum sowie die Landessynode in Westfalen baten ihre Vertreter, sich verstärkt in die Bemühungen um einen ZFD einzubringen, und die deutschen Quäker stimmten der Initiative einhellig und „mit Nachdruck“ zu. Im November erklärte auch die Evangelische Akademikerschaft (EAiD) sowie einige evangelische Studierendengemeinden ihre Bereitschaft, individuell und als Organisationen den ZFD zu unterstützen.

Im Folgenden sollen drei Ereignisse aus dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit während dieser frühen Jahre gesondert hervorgehoben werden.

  1. Der Kirchentag in Hamburg im Juni 1995

Der Evangelische Kirchentag 1995 fand in einer damals friedenspolitisch sehr aufgeladenen Atmosphäre statt und gab den Initiatoren eine einmalige Gelegenheit, die Idee eines neuen friedensstiftenden Instruments einer breiten Öffentlichkeit vorzutragen und wichtige Entscheidungsträger, besonders aber auch junge Menschen dafür zu gewinnen. Im Namen des damals noch lockeren Zusammenschlusses wurde eine Resolution eingebracht, mit der das Forum Gewalt überwinden des Kirchentages sich an Bundestagspräsidium, Bundesregierung und Parteien des Deutschen Bundestages wandte und um Unterstützung für die Idee bat. In der zwischen Vertreter*innen des Mülheimer Gesprächskreises und der EKiBB abgestimmten Vorlage hieß es dazu: „Die Kirchen, politischen Parteien, Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Gruppen fordern wir auf, sich mit ihren jeweiligen Möglichkeiten für einen zivilen Friedensdienst einzusetzen.“ Diese Resolution wurde am 16. Juni 1995 in Hamburg mit überwältigender Mehrheit angenommen.

Konrad Raiser griff in seinem abschließenden Schlussvortrag die Kernsätze der Resolution auf. Als Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen forderte er ein „neues Denken“ und „Alternativen zur Logik von Gewalt und Gegengewalt.“ Es gelte, eine „Kultur des Friedens“ zu entwickeln. Konrad Raiser war nahe an der Grundidee des ZFD, wenn er zum Schluss betonte: „Das erforderliche neue Bewusstsein wird nur wachsen, wenn es immer mehr geglückte Beispiele gibt, die den Weg der aktiven Gewaltfreiheit nicht nur als Ausnahme, sondern als die neue und vernünftigere Form des Austrags von Konflikten deutlich machen.“ Er beschrieb damit, was Ziel des Zivilen Friedensdienstes sein sollte.

Seine Rede und die Resolution wirkten in die Kirchen hinein und führten zu grundlegenden, oft auch kontroversen Erörterungen in verschiedenen Formaten bis hin zu den synodalen Zusammenkünften. Beides bestärkte das Engagement kirchlicher Gremien und besonders der beiden Bischöfe Spital und Huber zur Weiterentwicklung des Vorhabens.

  1. Die „Berliner Erklärung“ vom 22. Februar 1997

Für den neugegründeten Verein forumZFD wurde es immer wichtiger, breiten Kreisen der Öffentlichkeit und vor allem auch der Entscheidungsträger die Grundgedanken der zivilen Konfliktbearbeitung nahe zu bringen und deren aktive Unterstützung zu gewinnen. Dazu wandten sich die Mitglieder des Vorstands an ihnen bekannte Persönlichkeiten. Zu ihnen gehörte Hans Koschnick. Der frühere Bremer Bürgermeister hatte gerade seine Friedensmission als EU-Administrator für Mostar recht frustriert wegen der mangelnden Rückendeckung durch deutsche Stellen beendet. In Vorträgen und Artikeln machte er deutlich, dass es eines breiten friedensstiftenden Ansatzes „von unten her“ bedürfe, um wirklich Veränderung zu bewirken.

Als Hans Koschnick von den Planungen für einen Zivilen Friedensdienst hörte, begeisterte er sich für diesen neuen Ansatz und unterstützte ihn seitdem aktiv. Gemeinsam mit dem Vorstand des forumZFD wurde gegen Ende 1996 der Plan eines Treffens in Form eines „Runden Tisches“ in Berlin entwickelt. Dank Koschnicks guter Kontakte in die Politik und zu kirchlichen Kreisen sowie seines Renommees als erfolgreicher Vermittler in Krisen unterschiedlicher Art gewann dieses Vorhaben sehr schnell Gestalt. In der breit gestreuten Einladung an prominente Unterstützerinnen und Unterstützer hieß es: „...es scheint uns an der Zeit, mit Einladung von Repräsentanten vieler gesellschaftlicher Kreise zu einem überparteilichen Rundtisch-Gespräch zum Zivilen Friedensdienst ein Signal zu setzen und dem Konzept eine größere Bekanntheit und Akzeptanz in unserer Gesellschaft zu verleihen, in dem wir eine gemeinsame Berliner Erklärung auf den Weg bringen.“

In intensivem Austausch und immer neuen Anläufen wurde der Textvorschlag für das Berliner Treffen verabschiedet und zusammen mit der Einladung an mehr als 50 potentielle Teilnehmer*innen versandt. Bis auf wenige Ausnahmen reagierten alle Angeschriebenen aus Politik und Gesellschaft, von den Medien und aus der Kultur positiv auf die Einladung und sagten eine Unterzeichnung der Berliner Erklärung zu.

Der Text umfasste eine DIN A 4 Seite. Herausgehobene Kernsätze der Berliner Erklärung waren:

  • (Wir) fordern einen in der Gesellschaft verankerten, gesetzlich abgesicherten, staatlich geförderten und international eingebundenen Zivilen Friedensdienst.

  • Die Verwirklichung der Idee eines ZFD bedarf einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung.

  • Die Zeit ist reif, sich in neuen Formen der nationalen und internationalen Verantwortung für Frieden und Völkerverständigung zu stellen.

Der Runde Tisch zur Verabschiedung der Berliner Erklärung fand am Wochenende 21.bis 23. Februar 1997 im Berliner Haus der Kirche statt. Nach einem internen Treffen mit der Arbeitsgruppe Ziviler Friedensdienst der EKiBB am Freitagabend erörterte der Vorstand des forumZFD am Vormittag des 22. Februar zusammen mit Hans Koschnick wichtige Fragen zur Umsetzung des ZFD einschließlich dessen Finanzierung. Zeitgleich fand eine Pressekonferenz am gleichen Ort statt.

Ab 14.30 h öffnete sich der Kreis für alle Teilnehmenden. Hans Koschnick berichtete von seinen Erfahrungen in Mostar und sprach auf diesem Hintergrund zu „Chancen und Handlungsansätzen ziviler Konfliktbearbeitung“. Vertreter*innen des forumZFD stellten das Konzept für einen Zivilen Friedensdienst vor. Anschließend diskutierten die Anwesenden den bereits vorher ausgesandten Text. Die intensive Vorarbeit bewährte sich: Es wurden nur noch minimale stilistische Glättungen vorgenommen. Die Vorlage wurde ansonsten einmütig als Berliner Erklärung für einen Zivilen Friedensdienst verabschiedet. 34 Teilnehmer und Teilnehmerinnen unterzeichneten sie noch vor Ort. Weitere 34 Personen aus dem Kreis derer, die nicht am Treffen teilnehmen konnten, sagten bereits in ihrer Absage die Unterschrift sowie weitere Unterstützung zu.

Es gab Grund zum Feiern bei einem abschließenden kleinen Imbiss - auch weil die Landesregierung NRW fast gleichzeitig die Finanzierung für einen ersten Ausbildungskurs in ziviler Konfliktbearbeitung in Höhe von 400 000 DM zugesagt hatte, der also bereits im April 1997 starten konnte. Es ging voran!

Durch Aufrufe und persönliche Anschreiben wurden täglich weitere Unterzeichnende gewonnen, bis schließlich mehr als 800 Unterschriften zusammenkamen.

Die Erstunterzeichnenden waren um Spenden gebeten worden, um die Veröffentlichung der Berliner Erklärung in der Wochenzeitung DIE ZEIT zu finanzieren. Am 9. Mai 1997 erschien die viertelseitige Anzeige mit den Namen von etwa 210 prominenten unterzeichnenden Personen, unter ihnen die Bischöfe Huber und Spital, sodann Hans Koschnick, Günter Grass, Walter Jens, Horst-Eberhard Richter, Dorothee Sölle, Christa Wolf, Günter Wallraff, Friedrich Schorlemmer, Helmut Simon sowie die Abgeordneten, die sich bereits für den ZFD engagiert hatten. Mit diesem Schritt in die Öffentlichkeit sollte der Einfluss auf die Politik verstärkt, verbesserter Zugang zu den Medien gewonnen sowie Möglichkeiten zur Förderung erschlossen werden.

  1. Verleihung des Gustav-Heinemann-Bürgerpreises

Ebenfalls Anfang 1997 erfuhr das forumZFD zur großen Freude aller Mitglieder und Unterstützer, dass dem Verein der Gustav-Heinemann-Bürgerpreis zuerkannt sei, den der Parteivorstand der SPD alljährlich vergibt. Hatten Kreise um Ministerpräsident Johannes Rau (verheiratet mit einer Enkelin von Gustav Heinemann) hier von ihrem Vorschlagsrecht Gebrauch gemacht? Oder war der Vorschlag vom ehemaligen Verfassungsrichter Helmut Simon ausgegangen? Genaueres wurde nie bekannt.

Der Festakt fand am 25. Mai 1997 im wunderschönen Festsaal des Rastatter Schlosses, der „Sala Terrena“ statt. In dem alten Städtchen am Rhein, das geschichtlich stark mit der Revolution von 1848/49 und anderen Freiheitsbewegungen verbunden ist, wird traditionell der Gustav-Heinemann-Bürgerpreis verliehen.

Bei strahlendem Sonnenschein versammelten sich mehr als hundert geladene Gäste, darunter ehemalige Preisträgerinnen und SPD-Politiker sowie Menschen, die den ZFD von Anfang an unterstützt hatten. Eingerahmt von festlicher Musik eines kleinen Kammermusik-Ensembles folgten die Reden: Das Grußwort des damaligen Vorsitzenden des Kuratoriums, Dr. Diether Posser, die Beschreibung und anerkennende Bewertung der Vereinsarbeit durch Prof. Manfred Wichelhaus, dem Schwiegersohn Gustav Heinemanns, sowie die eigentliche Laudatio von Hertha Däubler-Gmelin, der damaligen stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD, die in eindrucksvoller Weise die Arbeit des forumZFD würdigte. Die Überreichung der Urkunde erfolgte verbunden mit der Übergabe eines prächtigen Blumenstraußes an die beiden Vorsitzenden des forumZFD, Helga Tempel und Heinz Wagner. Die Auszeichnung war mit einem Preisgeld von 20 000 DM verbunden, einer Summe, die entscheidend zur Weiterarbeit des Vereins beitrug.

In einer längeren Rede dankte die Ko-Vorsitzende Helga Tempel für die Auszeichnung. Sie nahm Bezug zu dem Heinemann-Wort „Frieden ist der Ernstfall“, beschrieb Ziele, Motivation und Arbeitsweise des Vereins und stellte dabei das bisher Erreichte als Zusammenwirken vieler Akteure dar.

Die Verleihungsurkunde war von Oskar Lafontaine, dem damaligen Vorsitzenden der SPD, und Dr. Diether Posser unterschrieben. Es heißt dort mit deutlichem Bezug zu den Formulierungen im ZFD-Konzept von 1994:

In einer Zeit nationaler und internationaler Konflikte wird es immer wichtiger, bereits mit Erfolg erprobte Mittel und Wege zu gewaltfreier Konfliktbearbeitung aufzuzeigen und realisieren zu helfen. Dabei geht es innergesellschaftlich wie außenpolitisch um die Schaffung professioneller ziviler Instrumentarien, um vorhandenes Wissen um die Möglichkeiten, deeskalierend und gewaltmindernd, versöhnend und unterstützend tätig zu werden, zur Geltung bringen zu können. Dazu bedarf es eines in der Gesellschaft verankerten, gesetzlich abgesicherten, staatlich geförderten und international vernetzten zivilen Friedensdienstes.

Die Herausforderungen bleiben

Heute, über zwei Jahrzehnte später, haben diese Aussagen nichts von Ihrer Gültigkeit verloren. Manches davon konnte inzwischen erprobt und verwirklicht werden. Aus den Anfängen der ersten Jahre ist inzwischen ein umfangreiches, allseits anerkanntes Programm mit über tausend Mitwirkenden in vielen Ländern geworden.

Die Herausforderungen aber bleiben. Sind sie nicht sogar mit gewachsen? Gültig bleiben jedenfalls auch die Worte von Gustav Heinemann in seiner Antrittsrede als Bundespräsident am 1. Juli 1969, die über dem Festakt in Rastatt standen, im Grunde aber dem Zivilen Friedensdienst insgesamt mitgegeben sind:

Ich sehe als erstes die Verpflichtung, dem Frieden zu dienen. Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.“